Stephan Neuhoff: Zwischen Kirche, Kindern und Krisen
Stephan Neuhoff erlebt das schwerste Unglück der jüngeren Kölner Stadtgeschichte als Chef der Berufsfeuerwehr und Christ
Stephan Neuhoff dirigiert 1100 Mitglieder der Kölner Berufsfeuerwehr, 720 aktive ehrenamtliche Helfer und 400 Jugendfeuerwehrleute. Als oberster Einsatzleiter erlebte er die größte Katastrophe in der jüngeren Kölner Geschichte, den Einsturz des Stadtarchivs. Zusammen mit seiner Ehefrau Ingeborg hat er elf Kinder. Sie erzählten Reporter Christof Hüls, warum sie sich im Alltag vom christlichen Glauben getragen fühlen.
Stoßgebet nach Archiveinsturz
Am 3. März 2009 kam es in Köln zu einem der schwersten Unfälle in der Stadtgeschichte: Das Stadtarchiv sackte in eine U-Bahn-Baugrube ab. Wochen zuvor hatte Stephan Neuhoff noch selber in dem 21,4 Meter hohen Komplex in alten Urkunden „gegraben“, um etwas über die Historie seiner Feuerwehr herauszufinden. Nun türmte sich vor ihm ein acht Meter hoher Haufen auf, eine Mischung aus Beton, Glas und Akten.
Das einstürzende Archiv hatte die seitlichen Mauern der angrenzenden Wohnhäuser mit herunter gerissen, so dass die Helfer in die Wohnzimmer der Menschen blickten wie in ein Puppenhaus. Der Feuerwehr-Chef überlegte: Konnten alle Menschen die Häuser verlassen? Rundherum bildeten sich Risse an weiteren Gebäuden: Wohnhäuser, Schulen, Seniorenheim… Plötzlich stand er am größten Trümmerfeld, das er je gesehen hatte. Nach und nach trafen hunderte von Helfer ein und denen sollte er sagen, wo es langgeht. Der Einsatzleiter schickte ein Stoßgebet in den Himmel. Neuhoff: „In solchen Situationen stehen zu können und nicht wegzulaufen, da hilft mir das Gebet.“
Entscheidung über Leben und Tod
Als in der Nacht klar war, dass zwei Bewohner fehlten, musste er um eine der schwersten Entscheidungen ringen: Schickt er seine Leute zum Graben in die Gefahrenzone, weil vielleicht nur Zentimeter unter Steinen schwer verletzte Menschen liegen? Oder wartet er viele Stunden, bis schweres Räumgerät aufgebaut ist, das sicheres Arbeiten ermöglicht? Er ging auf Nummer sicher und lag richtig. Erst Tage später fanden die Helfer in neun und zwölf Metern Tiefe zwei Körper unter Tonnen von Steinen. Für sie wäre jede Hilfe zu spät gekommen.
Mischung aus Behördenleiter und Superheld
Für sein Handeln nach dem Einsturz erntete der Krisenmanager große Anerkennung in der Stadt. Im März 2014 geht er in Pension. Die Stadt sucht nun, wie der Kölner Stadt-Anzeiger schrieb, als Nachfolger „eine Mischung aus Behördenleiter und Superheld“. Die Familie lebt in Köln-Mauenheim. 1500 Meter Fußweg sind es bis zur Hauptwache der Feuerwehr, 1200 Meter in die andere Richtung bis zur Kirche. Das Ehepaar sieht das dreistöckige Reihenhaus als Gottes Geschenk. Es ist von außen schlicht, bietet aber 280 Quadratmeter Wohnraum.
Die unbeliebtesten Fragen
An der Küchentür hängt ein DIN-4-Blatt. Ihre Kinder haben sich einmal einen Spaß daraus gemacht, darauf die 10 „meist gehörten und gehassten Fragen zu Großfamilien“ zu sammeln. Etwa „Wie schafft eure Mutter das?“ Oder „Sind das alles eigene Kinder? …“ Inzwischen füllen sich die Stühle am großen Esstisch seltener. Nur noch vier Söhne und Töchter leben in ihrem Geburtshaus. Dafür wuseln gelegentlich drei Enkel über den Wohnzimmerteppich. An der Wand hängt ein Kreuz, auf einem kleinen Tisch liegt eine große Bibel neben einer Kerze.
Der Glaube begleitete Ingeborg und Stephan Neuhoff von Jugendzeit an. Sie leitete die Mädchengruppen, er die Pfadfinder in einer katholischen Pfarrei. „Wir waren das Traumpaar in der Gemeinde“, erzählt die Erzieherin und Sozialarbeiterin strahlend. Vieles in der Kirche machten sie jedoch nur, „weil man es eben so macht als Christ.“ Erst viel später begriff das Paar, worum es eigentlich geht im christlichen Glauben.
Flucht in die Arbeit
Davor lag eine schwere Ehekrise. Der Ehemann nahm Anlauf für seine Karriere an die Spitze der Kölner Berufsfeuerwehr. Entsprechend wenig Zeit blieb für Kinder und Frau. Sie umschreibt ihre damalige Lage: „Ich stand kurz vor einer Depression“. Je schlechter die Atmosphäre zuhause wurde, desto mehr flüchtete der Familienvater in seine Arbeit. Die Kirche bot zwar Halt, aber keine Lösung.
Das änderte sich erst, als das Ehepaar an einer „Glaubensverkündigung“ in ihrer Gemeinde teilnahm, die von Mitgliedern des „Neokatechumenalen Weges“ gehalten wurde. Diese Bewegung entstand Mitte der Sechziger Jahre in den Slums von Madrid. Sie bildet in den Pfarreien Gemeinschaften, in denen Menschen einen Weg zur Vertiefung ihres Glaubens gehen können.
15 Abende und ein Wochenende lang ging es in dem Kurs um Themen wie Tod und Auferstehung oder den Sinn des Lebens und das praktische Christsein. Stephan Neuhoff gingen viele Lichter auf: „Ich habe erkannt, dass Gott mich so liebt, wie in bin als Sünder.“ Er habe Jesus Christus als „Kyrios“ kennengelernt, der wirklich Macht hat. 40 Kursteilnehmer ließen sich motivieren, die Treffen selbstständig fortzusetzen – darunter die Neuhoffs.
Auch in ihrer Ehe lief die Kommunikation wieder an. „Wir haben angefangen, uns einfach etwas übereinander zu erzählen.“
Glaubensgespräche an Haustüren und auf der Domplatte
Mit ihrer Gruppe verlassen die Neuhoffs seitdem immer wieder die gemauerten Kirchenräume. Mal stellen sie sich mit Kreuz und Bibel auf die Kölner Domplatte, singen Lieder und fragen die Menschen nach ihrer Sicht von Kirche und Glauben. Mal ziehen sie von Haustür zu Haustür. Die Resonanz falle sehr unterschiedlich aus. Am interessantesten seien Gespräche mit Angehörigen von evangelischen Freikirchen oder Evangelikalen. „Da wissen wir, dass wir über Jesus als Fundament reden.“
Leben der Tochter auf Messers Schneide
Eine tiefe Glaubenserfahrung machte das Ehepaar, als das vierte Kind mit einem schweren Herzfehler auf die Welt kam. Sein Leben stand mehrmals auf Messers Schneide. Der Feuerwehrdirektor war es gewohnt, das Kommando zu führen und für alles eine Lösung zu finden. Jetzt fühlte er sich auf einmal machtlos. In dieser Phase sei ihm bewusst geworden, was es heißt, als Christ „sein Kreuz auf sich zu nehmen“ (Lukas 14, 27). Seine Frau ergänzt: „Ich glaube nicht an Zufall.“ Alles habe einen Sinn. Gott wolle, wie beim Blindgeborenen (Johannes 9), seine Herrlichkeit zeigen. Er half tatsächlich, gab innere Kraft und viele Helfer. Das Kind überlebte. Das sieht das Ehepaar als Grenzerfahrung und gleichzeitiges Erleben der Vorsorge Gottes.
Danach war für die Eltern mehr als zuvor klar, welch großes und kostbares Geschenk das Leben ist. Sie waren bereit, die Kinder anzunehmen, die Gott ihnen schenken wollte. Ingeborg Neuhoff: „Je mehr ich gelernt habe, seine Hilfe im Leben zu erwarten, desto glücklicher bin ich geworden.“
„Es gab nie eine Reserve“, sprechen die beiden über ihre Einstellung zu irdischen Reichtümern. Seit inzwischen 24 Jahren ist Neuhoff Chef der größten nordrhein-westfälischen Berufsfeuerwehr mit entsprechendem Beamtensold. Doch elf Kinder kosten viel Geld. Der engagierte Christ: „Für uns war das eine Frage: Gott oder Mammon?“
Den Humor Gottes kennengelernt
Sie entschieden sich, auf Christus zu setzen und lernten, „dass Gott Humor hat“. Er überraschte sie, als ihr Achtsitzer-Kleinbus mit dem achten Kind definitiv zu klein wurde: Ein Erbe brachte ihnen bis auf 100 Mark genau den Kaufpreis eines 13-Sitzer-Busses. Seine Sicherheit, dass Gott wirklich existiert, sei eng mit den Kindern verbunden, erzählt der Familienvater. Man stehe als Christ ständig in der Gefahr, den Schöpfer an dem zu messen, was man sich im Moment glaube leisten zu können. So ein Denken nehme dem Glauben jede Kraft, ergänzt Ingeborg Neuhoff und sagt: „Gott ist größer und hat mehr Ideen als wir im Kopf haben.“ So ein Vertrauen wächst, räumen die beiden ein. Doch es greife im Alltag.
Lebensglück nicht messbar
Zwar lasse sich Geld zählen, meint Ingeborg Neuhoff beim Abschied. „Aber Lebensglück kann man nicht messen.“ Wer einen Augenblick vor der Küchentür stehen bleibt, der sieht einen weiteren Zettel, diesmal mit den Antwortvorschlägen auf die zehn unbeliebtesten Fragen nach der Kinderzahl. Die Eltern lachen und versichern, die seien nicht so ganz ernst gemeint. Zum Beispiel die Antwort auf die Frage, ob das denn alles eigene Kinder seien: „Die Hälfte ist geklaut.“ So etwas würden die Neuhoffs doch nie tun.
Christof Hüls
Dieser Artikel erschien im Dezember 2013 in dem christlichen Wochenmagazin IdeaSpektrum.